Über den Rückstand im Schweizer Frauenfussball
Das Exekutivkomitee der Uefa gibt am Dienstag bekannt, wo die Europameisterschaft 2025 stattfindet. Neben der Schweiz haben sich Frankreich, Polen, die Ukraine und ein Bündnis skandinavischer Länder beworben. Als Favoritinnen gelten Frankreich und der skandinavische Zusammenschluss, da diese Länder professionelle Ligen betreiben und den Frauen damit das Leben als Berufsfussballerin ermöglichen.
Ein Entscheid zugunsten der Schweiz wäre historisch. Und scheitern könnte die Kandidatur nicht am aktuellen Bewerbungsdossier des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV), sondern an der fehlenden Förderung des Frauenfussballs zuvor. Was die Geschlechterverhältnisse damit zu tun haben, erklären Lara Dickenmann, Lia Wälti, Martina Moser und Sandra Betschart.
Der Schweizer Frauenfussball hat in den vergangenen Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen, ist aber noch weit von der Professionalisierung entfernt. Wenn eine Spielerin der AXA Women’s Super League (AWSL) überhaupt etwas verdienen will, muss sie eine Teamleaderin sein – und kriegt trotzdem nur die Brosamen der Stammklubs. Die sportlichen Infrastrukturen sind ungenügend, das Medieninteresse gering, und es fehlt an Visionen und Investitionen.
Männer wollen den Fussball männlich halten
Der Rückstand hängt laut Lara Dickenmann, General Managerin (GM) der GC-Frauen und ehemalige Nati-Spielerin, mit den Geschlechterverhältnissen zusammen: «Die Geschlechter- rollen sind innerhalb des Fussballs konservativer und rückständiger als im Rest der Gesellschaft; die Männer versuchen, weiterhin den Fussball so männlich wie möglich zu halten.»
Im Schweizer Fussball regiere die Vettern- und Misswirtschaft, fügt sie an. Deshalb seien viele Schlüsselpositionen mit den falschen Personen besetzt. Lippenbekenntnisse statt Taten seien die Regel: «Sie sagen zwar alle, dass sie für den Frauenfussball sind und ihn priorisieren wollen, aber am Ende des Tages passiert trotzdem nichts», erzählt Dickenmann. Lia Wälti, Profifussballerin bei Arsenal und Captain des Nationalteams, bestätigt das: «Auch in meinen Vereinen grassierte teilweise die Inkompetenz. Offensichtlich wurde Personal in den Frauenfussball ‹abgeschoben›, das im Männerfussball zu wenig professionell gearbeitet hatte.»
Es sei zwar ein gutes Zeichen, dass nun vermehrt ehemalige Spielerinnen angestellt würden, doch fehle es an Stellenprozenten, kritisiert Martina Moser, ehemalige Nati-Spielerin. Marion Daube, die Direktorin des SFV, habe zu viele Aufgaben, wodurch sie sich zu wenig auf die Förderung und Vermarktung des Frauenfussballs konzentrieren könne, findet Dickenmann: «Auch in den Vereinen sind Sportchefinnen oft nur zu 20 Prozent angestellt, was nicht ausreicht, um Fortschritte zu erzielen.» Wenn weder in den Vereinen noch im Verband in mehr Fachpersonal investiert werde, zeige das doch nur, dass man nicht bereit sei, den Frauenfussball wirklich zu pushen, gibt Moser zu bedenken. Dabei müsste der Verband nur über den Ärmelkanal blicken: «In England hat die FA (Football Association) eine Abteilung zur Professionalisierung gegründet, die sich mit allen Stakeholdern und den britischen Grossklubs in Verbindung setzte», erklärt Dickenmann.
Unterdessen wird hierzulande lamentiert, dass Frauenteams nur Geld kosten und keine Einnahmen generieren. Dabei werde laut Sandra Betschart General Manager der YB-Frauen und ehemalige Nati-Spielerin, grosszügig vergessen, dass auch in Start-ups zuerst investiert werden müsse und dass fast alle Schweizer Klubs ohne Mäzene im Rücken längst von der Bildfläche verschwunden wären. Kaum ein Verein schreibe nur durch den Sport schwarze Zahlen.
Bessere TV-Zahlen beim EM-Final der Frauen
Mediale Aufmerksamkeit könnte helfen, doch auch diese ist noch zu bescheiden: «Wer wenig Medienpräsenz hat, kann die Bevölkerung kaum für seinen Sport begeistern und hat Schwierigkeiten bei der Sponsorensuche», moniert Betschart. Im Gegensatz dazu knackt der Frauenfussball in anderen Ländern TV-Rekorde: In Deutschland verfolgten mehr Menschen den Final der Frauen-EM als die WM-Spiele der Männer.
Die Schweiz bestaunte den Frauenfussball bisher aus der Ferne, was eine Heim-EM vielleicht ändern könnte. Lia Wälti, die in England diese Saison schon vor 48000 Menschen spielte, hofft auf einen Uefa-Entscheid zugunsten der Schweiz und darauf, dass die englische Frauenfussball-Euphorie auf die Schweiz überschwappt: «In England lohnt sich heute der Frauenfussball, weil sie daran glaubten. Irgendwann zahlt sich alles aus.»
Dieser Gastbeitrag im Auftrag von CH-Medien wurde in verschiedenen Zeitungen publiziert.
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